Gar nix muss ich oder: die unterschätzte Energie von Reizwörtern

Kennen Sie das? Lust auf Shopping und auch noch einen freien Tag - ab ins Shopping-Center! Zugegeben, das passiert mir eher selten, ich mag die Menschenmassen in Shopping-Centern nicht so und Zeit hab ich meistens auch nicht. Vor kurzem war es aber so weit! Auf ging es in ein Shopping-Center mit dem Willen, neue Frühjahrsgarderobe einzukaufen. Also gleich mal hinein in den neu gestalteten Laden einer bekannten Modekette. Alles neu - ich brauche etwas, um mich zurecht zu finden, vollgeladene Kleidungsständer überall, ach ja, es ist ja Ausverkauf äh Sale, deshalb! Na macht ja nix, ich finde mir auch einige bunte Kleidungsstücke, die mir für den Urlaub gefallen würden. Also ab damit in die Umkleidekabine, dachte ich halt. Vollgepackt marschiere ich in Richtung Umkleide, einige Bügel in der Hand, sorgsam darauf bedacht, dass mir weder die Handtasche runterrutscht (warum nehme ich auch immer die ohne Reißverschluss, wo alles rausfliegen kann?) noch die Kleidungsstücke von den Bügeln. Komme fast ein bisschen ins Schwitzen mit meinem Wintermäntelchen…. ich bin fast am Ziel, als mich eine schrille Stimme anspricht, na nicht anspricht, anweist eigentlich….”Sie müssen die Bügel vor den Scanner halten!”. Ich muss was? Scannen, echt jetzt? Tatsächlich, da ist ein Symbol an der Wand und davor muss ich die Bügel halten, bis mir das System anzeigt, dass ich weitergehen darf. Hmmm, hab ich schon einmal erzählt, dass “müssen” ein Reizwort ist? Meine Oma sagte immer; “Gar nichts muss ich, sterben muss ich…”. Das erzähle ich meinen Teilnehmern in den Kommunikationsseminaren dazu immer. Fällt mir gerade ein und fast rutscht mir das Bonmot meiner Oma auch heraus. Ich glaube ich werde ihr mit zunehmendem Alter immer ähnlicher. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zum Scanner. Die Verkäuferin reißt mir die Kleidungsstücke aus der Hand, hält sie vor den Scanner und das System zeigt mir an, dass ich in Kabine 12 gehen muss. Schon wieder muss ich. Und die Verkäuferin sagt auch: “Sie müssen in Kabine 12 gehen!”. Noch einmal muss ich. Und die kleine Revoluzzerin in mir schwankt zwischen vernünftigem Gehorsam nach dem Motto “die Verkäuferin kann ja auch nix dafür, dass ihr keiner sagt, dass ich die Kundin bin und nicht Soldatin beim Bundesheer…” und dem immer stärker werdenden Drang zum Widerspruch. Aber ich bin heute so blendend gelaunt, dass mir das eigentlich völlig egal ist. Ich gehe also in Kabine 12 und probiere vor mich hin. Hab ich schon gesagt, dass mir in diesem Geschäft immer sehr viel gefällt, weil sie coole bunte Styles haben, aber wenig passt? Mir passt also fast nix, und was mir passt, gefällt mir nicht. So ist das nun mal beim Kleidungsshopping. Eine Hose gefällt mir supergut und ist nur ein bisschen zu klein, die nächste Größe wäre perfekt. Ich marschiere mit allen Kleiderbügeln heraus aus der angewiesenen Kabine 12, nehme all meinen Mut zusammen und frage den Feldwebel Verkäuferin, ob sie die Hose eine Größe größer hat. Oh Schreck, das geht nicht so einfach, wie ich mir das vorstelle. “Sie müssen das vorher einscannen….!” Hm, was genau? Was hab ich denn schon wieder falsch gemacht? Ach so, ich muss schon wieder was, nämlich die Kleidungsstücke wieder vor einen Scanner - aber einen anderen als vorher - halten und damit quasi beweisen, dass ich nichts geklaut habe. Ok, jetzt ist alles ausgescannt und ich steh noch immer da und wüsste gerne, ob es diese tolle Hose auch größer gibt. Die Verkäuferin dreht sich um und spricht in einer mir nicht verständlichen Sprache mit ihrer Kollegin. Lästert die jetzt über mich nach dem Motto “die alte Schachtel will diese bunte Hose…” oder sprechen sie über andere Themen? Nein, sicher reden sie über was anderes. Dann schaut sie in ihr Handy. Ich stehe eine Zeitlang ratlos da, dann reicht es mir und ich sage lautstark “Hallo!!! Ich hab sie was gefragt!”, sie dreht sich um und sagt “ich schau eh gerade für Sie nach”. Aha, via Handy sind auch die anderen Größen ersichtlich, eh klar. Aber die Hose gibt es nicht größer. Ich bedanke mich und gehe wieder. Ich glaube, wir werden keine Freunde mehr. Wahrscheinlich bin ich schon ein bisschen paranoid, weil ich in meinen Seminaren vermittle, wie man gut kommuniziert und so natürlich eine besonders kritische Kundin bin. Ist ja auch nett, Material für weitere Seminare zu finden ;-). Eine Grundregel neben “Vermeiden Sie das Reizwort müssen!” lautet “Sagen Sie Ihrem Kunden, was Sie gerade machen!”. Wenn Sie mit dem Handy nachschauen, ob der Artikel verfügbar ist, sagen Sie dazu, was Sie tun. Dann kommt auch niemand auf die Idee, dass Sie gerade in Ihrem Insta-Account sind. “Ich schaue kurz für Sie nach, ob wir eine andere Größe im Shop haben” und alles ist gut. So einfach wäre es. Das gilt übrigens ganz besonders für Telefongespräche - das Gegenüber weiß ja nicht, dass Sie gerade etwas in Ihren Unterlagen nachsehen oder mitschreiben, was Ihr Kunde sagt. Mehr dazu gerne in einem meiner Seminare!

 

P.S. Ich hab mir den Artikel dann online bestellt - auch da gefühlte 100 Hinweise, was ich alles tun “MUSS”. Scheint ein Lieblingswort in diesem Unternehmen zu sein. Ich muss gar nix. Hab eh genug bunte Hosen. Aber die Verkäuferinnen und Texter MÜSSEN UNBEDINGT  mal zu mir in ein Kommunikationsseminar kommen ;-).